„Man muss alles geben, um seine Ziele zu erreichen.“
Ein Leben für die Wissenschaft
Professorin Mary Justin-Temu
Gestern, am 11. Februar, feierten wir den „Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft“, der darauf aufmerksam macht, dass weltweit immer noch viel zu viel Forschungspotenzial verloren geht, weil zu wenige hoch qualifizierte Frauen in der Wissenschaft arbeiten. Weltweit liegt der Frauenanteil in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit bei unter 30 Prozent.
Eine Frau, die es als Wissenschaftlerin in Tansania weit gebracht hat, ist die Professorin Mary Justin-Temu. Die 71-jährige forscht und doziert an der School of Pharmacy der Muhimbili University of Health and Allied Sciences in Daressalam.
Zudem leitet sie stellvertretend für Tansania „Tri-Sustain“ – ein gemeinschaftliches Forschungsprojekt der Länder Tansania, Botswana und Äthiopien in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Das Ziel ist es, in Heilpflanzen unbekannte Wirkstoffe gegen weit verbreitete Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Wurmerkrankungen zu finden.
Anlässlich des „Internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft“ hat uns die Wissenschaftlerin ein Interview gegeben – über ihre Arbeit, ihre akademische Laufbahn, ihre Forschung und was für Mädchen und junge Frauen in dem ostafrikanischen Land wichtig ist.
Frau Prof. Justin-Temu, was wollten Sie werden, als sie ein Kind waren?
Während meiner Kindheit erzählte ich meinen Freunden immer wieder, dass ich gerne Medizin studieren wollte, um andere Menschen behandeln zu können.
Glücklicherweise bekam ich die Gelegenheit und wurde aufgrund meiner guten Noten nach meiner Schulausbildung ausgewählt, an der Muhimbili Medical Training School Pharmazie zu studieren. Ich wurde quasi in genau den richtigen Beruf gesteckt, denn ich glaube, meine Erfolge und meine guten Leistungen im Studium haben ihren Ursprung darin, dass mich all diese Themen rund um die Medizin einfach total interessierten.
Wie sind Sie Wissenschaftlerin geworden?
Es war kein leichter Weg für mich und es gab auch immer wieder Rückschläge. Nachdem ich 1973 mein Diplom in den Pharmazeutischen Wissenschaften gemacht hatte, arbeitete ich als pharmazeutische Assistentin im Lushoto Distrikt-Krankenhaus in der Tanga Region.
1975 bewarb ich mich für einen Pharmaziestudiengang und wurde glücklicherweise ausgewählt, an die Fakultät der Medizinischen Universität von Daressalam zu wechseln. Den Bachelor in dem Bereich hatte das Gesundheitsministerium erst 1974 eingeführt und somit war ich der zweite Jahrgang, der ihn abschloss. Nach drei Jahren hatte ich meinen Abschluss 1978 in der Tasche und machte danach ein einjähriges Pflicht-Praktikum am Muhimbili Medical Centre, bevor ich offiziell als Apothekerin arbeiten konnte.
Während dieser Zeit wurde ich aufgrund meiner hervorragenden Leistung als Tutorial-Assistent für die Abteilung der Pharmazeutischen Wissenschaften der Medizinischen Fakultät der Universität von Daressalam ausgewählt. Aufgrund persönlicher Umstände war es mir damals leider nicht möglich, den Posten anzutreten und ich wurde nach meinem Praktikum als verantwortliche Apothekerin in das regionale Krankenhaus in Bombo versetzt.
Nachdem ich während meines Studiums gute Leistungen erbracht hatte, bot mir der externe Prüfer für Pharmazie einen Studienplatz an seiner Universität an, um dort den Master in Pharmazeutischen Wissenschaften zu machen. Aber auch hier hielten mich persönliche Probleme davon ab, das Angebot anzunehmen.
1980 erhielt ich eine zweite Chance und bekam ein Stipendium für ein zweijähriges Masterstudium der Pharmazeutischen Wissenschaften in Belgien. Dieses Mal wollte ich es schaffen. Dank meiner Leistungen bekam ich 1982 tatsächlich die Möglichkeit zu promovieren und so kehrte ich erst 1986 mit dem Doktortitel in der Tasche in meine Heimat zurück.
1987 erhielt ich eine Stelle als Dozentin in der Abteilung der Pharmazeutischen Wissenschaften der medizinischen Fakultät der Universität von Daressalam und leitete bis 2006 die Abteilung für Pharmazie und Pharmazeutische Mikrobiologie. Nachdem ich 2001 noch einmal das Glück hatte, ein Postdoktorandenstipendium in Leuven, Belgien, zu bekommen, wurde ich 2003 zum Associate Professor und 2011 dann zum Professor befördert.
Eine beeindruckende Laufbahn. Wie schwierig war es für Sie, speziell als Frau, sich in diesem Bereich durchzusetzen?
Ich habe für das, was ich heute bin, hart gearbeitet. Deshalb möchte ich auch alle Mädchen an dieser Stelle ermutigen: Seid stark, strengt euch an und kämpft für das, was ihr in Zukunft sein wollt! Niemand wird kommen und es euch einfach so geben – ohne eure eigene Anstrengung.
In welchen Bereichen haben Sie geforscht?
Ich hatte das Glück, das mehrere meiner Forschungen gefördert wurden. Die Nonprofit-Organisation Family Health International aus den USA finanzierte eine Studie, die sich mit der Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten für Apotheker beschäftigte.
Ein weiteres Projekt erforschte die mikrobakterielle Kontamination von pflanzlichen Arzneimitteln, die von traditionellen Heilern in Daressalam verkauft werden. Ich erforschte im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation die Zugänglichkeit von Malariamedikamenten in Tansania und betreute als Projektmanager eine Studie, die sich mit Preis, Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Arzneimitteln beschäftigte. Im August 2017 forschte ich zum Thema Typ-2-Diabetes-Medikamente, um Preise, Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit in den acht Zonen unseres Landes zu untersuchen.
Aus all diesen Forschungen habe ich mehr als fünfzig Manuskripte veröffentlicht.

Prof. Mary Justin-Temu (vorne links) mit dem Präsidenten der Muhimbili University of Health and Allied Sciences (Mitte) und dem Projektleiter Prof.Dr.Peter Imming von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (rechts) © trisustain.uni-halle.de
Um was geht es im „Tri-Sustain“-Projekt?
Das Forschungsprojekt „Tri-Sustain“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst gefördert und vereint die Forschungsarbeit von Kollegen aus Deutschland, Äthiopien, Botswana und Tansania.
Wir suchen nach neuen Wirkstoffen in Pflanzen, die von den traditionellen Heilern in Afrika eingesetzt werden. Im Labor versuchen wir dann Extrakte von diesen Substanzen anzufertigen und zu analysieren. Ziel ist es, die medizinisch genutzten Heilpflanzen aus Afrika zu untersuchen und wissenschaftlich zu begründen, welche Inhaltsstoffe für die Wirkung der jeweiligen Heilpflanzen verantwortlich sind. Gleichzeitig geht es uns darum, mögliche neue Hilfsstoffe zu identifizieren, die die Wirksamkeit von Arzneien verstärken könnten.
Dafür arbeiten wir mit den traditionellen Heilern vor Ort zusammen. Eine medizinische Behandlung ist für viele Tansanier unerschwinglich, der Weg in ein Gesundheitszentrum sehr weit, deshalb verlässt sich vor allem die ländliche Bevölkerung auf die Heiler.
Erst waren sie etwas skeptisch, ihr Wissen mit uns zu teilen, aber wir haben nun eine ganz gute Kooperation mit ihnen gefunden. Die Ergebnisse unserer Forschung sind für sie insoweit interessant, da die Heiler ihre Pflanzen und Wirkstoffe in Tansania registrieren lassen müssen, bevor sie sie einsetzen dürfen. Deswegen hilft es ihnen zu wissen, welche Pflanzen sich für die Behandlung welcher Krankheit eignen und welche sie auch künftig anbauen sollten.
Denn das ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit –wir wollen die natürlichen Ressourcen erhalten. Immer mehr der traditionellen Heilpflanzen wachsen nicht mehr so wie noch vor Jahren. Schuld sind zum einen immer längere Dürrezeiten, zum anderen werden manche Pflanzen zu oft gepflückt und können gar nicht so schnell wieder nachwachsen. Die Heiler müssen immer weitere Wege zurücklegen, um an ihre Pflanzen zu kommen.
Prof. Mary Justin-Temu (in gelb) in einem Labor der Muhimbili University of Health and Allied Sciences © trisustain.uni-halle.de
Was war der größte Erfolg dieses Projektes bisher?
Wir beschäftigen zwei Doktoranden in dem Projekt. Einer von ihnen testet die Anti-HIV-Aktivität von Pflanzenextrakten aus ausgewählten tansanischen Heilpflanzen. Dabei haben wir eine Pflanze identifiziert, die von Heilern zur Behandlung von Patienten mit HIV eingesetzt wird und die nach vorläufigen Erkenntnissen tatsächlich verhindert, dass sich das Virus unter Laborbedingungen vermehrt. Und wir konnten sogar feststellen, welches Molekül dafür verantwortlich ist.
Und was machen Sie neben der Forschung?
Nebenher betreibe ich noch eine Apotheke. Das ermöglicht es mir, sowohl mit Patienten in Kontakt zu kommen, die von Ärzten überwiesen werden als auch mit denen, die sich selbst therapieren. Ich diskutiere mit ihnen über ihren Gesundheitszustand, behandele sie oder überweise sie an ein Krankenhaus für eine umfassende Behandlung. Für mich ist das genau der richtige Ausgleich zu den Anspannungen im Job, dem Ärger mit Studenten, der Last administrativer Aufgaben und enttäuschender Forschungsergebnisse. Hier kann ich mich wirklich erholen.
Wie würden Sie die Bildungssituation in Tansania einschätzen?
Die Bildungssituation in Tansania finde ich persönlich ganz gut. Sie bereitet Absolventen gut auf den Arbeitsmarkt vor. Die Lehrpläne werden regelmäßig nach einer bestimmten Zeit überprüft, um den aktuellen Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden.
Als Mädchen ist man in Tansania allerdings dazu angehalten, besonders hart zu arbeiten und zwar von der ersten Klasse an bis hin zur Universität. Das gilt vor allem im Hinblick auf naturwissenschaftliche Themen. Gerade in diesen Bereichen gibt es zu wenig Vorbilder für Mädchen und Frauen in unserem Land und der Prozentsatz der Mädchen, die Mathematik, Medizin oder Chemie studiert ist immer noch sehr gering.
Was bedeutet Wissenschaft für Sie?
Jede organisierte Forschung, die auf bestimmte und vor allem nützliche Ergebnisse abzielt, ist für mich Wissenschaft. Wir Wissenschaftler sind neugierig unseren Wissensdurst bei jeder Untersuchung zu stillen, etwas zu entdecken, was uns befriedigt und mit der Zeit entwickelt man dann eine richtige Leidenschaft für das Thema. Ein Forschungsergebnis kann dazu verwendet werden, um eine bestimmte Politik, z.B. im Bereich des Gesundheitssystems, in einem Land zu verändern.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Ja, durchaus. Denn eines hat mein Leben mich gelehrt: Man muss sich äußerst anstrengen und alles geben, um das zu erreichen, was man will.
Wir bedanken uns herzlich bei Professorin Mary Justin-Temu für das Interview und bei Professor Dr. Peter Imming von der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, der uns bei unserer Recherche sehr unterstützt hat.
Tansania braucht viel mehr Frauen wie Mary Justin-Temu! Deshalb setzen auch wir von Jambo Bukoba uns für die Gleichberechtigung und Bildung von Mädchen ein.
Wenn auch du unsere Ziele unterstützen möchtest, freuen wir uns über eine Spende, mit der wir Mädchen in Tansania weiter stärken können oder unterstütze uns ehrenamtlich mit deinen Fähigkeiten!
Geschrieben von: Steffi Eisenlauer
Quellen:
Interview mit Prof. Mary Justin-Temu
“Die Apotheken der Dörfer”, Süddeutsche Zeitung, 28.11.2019
https://trisustain.uni-halle.de/
http://www.globalcrconline.org/userfiles/Modules/Archive/Documents/Tanzania%20Batch%2011%20-%20Final%20Project%20Report.pdf
https://www.un.org/womenwatch/daw/egm/gst_2010/Masanja-EP.8-EGM-ST.pdf