Nachruf Imani

Imani
Im April 2014 bewarb sich eine 23 Jahre junge Frau bei Jambo Bukoba in Tansania für ein Praktikum, als Assistentin des Projektleiters.
Ihr Name: Imani Paul.

Jede Position, die wir für unsere Organisation besetzen (egal ob in Tansania oder in Deutschland), ist uns sehr wichtig, weil sie den Unterschied machen kann. Deshalb luden wir die vielversprechendsten finalen Kandidat*innen zu einem Assessment Center nach Bukoba ein. Gemeinsam mit dem Projektleiter (und ihrem späteren Vorgesetzten, Gonzaga Stephen), sowie Ansprechpartner*innen aus dem Ministerium mit denen wir zusammenarbeiten, lernte ich die Kanditat*innen intensiv kennen.

In der Mittagspause gingen wir gemeinsam in die „Kantine“ auf dem Gelände der Regionalregierung: Plastikstühle, Wachstischdecken, überfordertes Personal… Wir warteten sehr lange auf unser Essen, aber es kam einfach nicht. Auf einmal machte sich die Bewerberin Imani Paul auf, ging in die Küche, und kam nach kurzer Zeit mit dem Essen für unsere große Runde heraus!

Würdest du so etwas machen? Würde ich so etwas machen? Imani ging diese extra Meile. Nicht nur in die Küche der Kantine, sondern auch in die sprichwörtliche Küche, wo es im Tagesgeschäft heiß und fettig ist! Und sie bekam den Job.
In unserem persönlichen Feedback Gespräch sprach ich sie darauf an:

„Deine Eigeninitiative ist herausragend! Deine Bereitschaft, selbst aktiv zu werden, um etwas zu verändern, ohne dass dich jemand anderes darauf aufmerksam macht, ist für unsere Arbeit unabdingbar. Deshalb möchte ich dich sofort in unserem Team haben.

Ich habe aber auch eine Bitte an dich: Hast du gesehen, dass keiner der männlichen Bewerber auf diese Idee gekommen ist, und dass auch keiner von ihnen deinem Beispiel gefolgt ist?

In einer von Männern dominierten Kultur, wo traditionelle Wertvorstellungen bis hin zu Aberglauben, Mädchen und Frauen klein halten, möchte Jambo Bukoba Mädchen stark machen.

Mein Anliegen an dich ist, dass du ein Vorbild für Mädchen bist, und dass dir der schwierige Spagat gelingt, in einem Umfeld von traditionellen Wertvorstellungen ein emanzipiertes modernes afrikanisches Frauenbild vorzuleben.“

Imani Nachruf
Die kleine, zierliche Imani verschaffte sich schnell Respekt und Bewunderung, nicht nur bei mir, sondern auch bei den Männern (und auch bei den Frauen), die auf Seiten unserer Ansprechpartner wichtige Position besetzen. Ich spreche hier von einem Umfeld in dem Mädchen und Frauen vor älteren Männern, auch im beruflichen Kontext, öfter mal noch einen Knicks andeuten, und manche Männer den Raum vor Ehrfurcht nur rückwärts verlassen.

Imani war „der Hammer“, und wir gingen gemeinsam auf „Neukundengewinnung“ beim deutschen Botschafter in Tansania, beim Geschäftsführer von KPMG in Daressalam, und beim Repräsentanten einer Goldmine. Mir war es wichtig, gängige Klischeevorstellungen zu brechen, und Imani noch stärker zu machen. Deshalb traten wir dort nicht als „Chef und attraktive Assistentin“ auf, sondern teilten unsere Rollen wie folgt auf: Ich war der deutsche Gründer, der seine Kindheit in Tansania verbrachte und jetzt, als Erwachsener, etwas für die Kinder in der Heimat seines Vaters zurückgeben wollte. Imani, die Expertin und Verantwortliche vor Ort.

Imani Nachruf 1
Imani und Clemens bei Investoren
Ich machte das Intro, Imani den Hauptteil, und gemeinsam schlossen wir den Deal ab. Und wir waren erfolgreich! Fassungslos, stolz und glücklich feierten wir unsere Erfolge im Fastfood-Restaurant von nebenan: KPMG wurde unser erster Partner in Tansania. Mit ihren Experten unterstützen sie uns dabei unsere Finanzposition zu besetzen.

Zu einigen Repräsentant*innen der deutschen Botschaft in Daressalam entwickelte sich ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Der stellvertretende deutsche Botschafter kam als Ehrengast zu unserem finalen Bonanza in Bukoba, und unsere Delegation wurde in sein Anwesen eingeladen. Selbst „die Goldmine“ war offen für eine Zusammenarbeit, leider waren wir zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, dies umzusetzen.

imani auf der buehne
Imani entwickelte sich zu einer selbstbewussten Frau und einem gern gesehenen Gast und Interviewpartner*in, auch auf großen Bühnen in Deutschland.
6.000 km von München entfernt, wurde ihre Entwicklung vor Ort tagtäglich von ihrem männlichen Vorgesetzten unterstützt, Gonzaga Stephen.

„Es muss aufhören, dass „Nicht-Afrikaner“ mit ihren Geschichten ein verzerrtes Afrikabild prägen. Afrika muss lernen, selbst seine Geschichte zu erzählen!“ sagte sie mir einmal voller Inbrunst, nach einem Workshop, den sie bei den Vereinten Nationen wahrgenommen hatte. Ich war so wahnsinnig stolz auf sie. Immer wieder erinnerte ich sie daran. Und manchmal provozierte ich sie auch damit, wenn ich das Gefühl hatte „Da geht noch mehr!“.

Imani und Gonzaga
Nicht nur für mich verkörpert sie genau diese starke, selbstbewusste, emanzipierte afrikanische Frau, die ihre Geschichte durch ihr Leben erzählte. Sie wurde ein Vorbild für Tausende Mädchen und Frauen, und erwarb sich allgemein einen natürlichen Respekt, Achtung und Anerkennung.
Imani in der menge
Imani war immer bereit, aus ihrer Komfortzone herauszutreten. Nicht nur mit den Fußspitzen, sondern mit allen Konsequenzen:

Ziemlich bald, nachdem sie bei uns ihr Praktikum erfolgreich beendete, und wir sie als feste Mitarbeiterin übernahmen, vertrauten wir ihr unsere Finanzen in Tansania an. Das lief am Anfang ziemlich holprig und Imani musste sich wirklich durchbeißen. Ich erinnere mich an ein Gespräch in diesen Tagen, wo sie mir anvertraute, wie schwer es ihr fiel, und dass sie auch darüber nachdachte, aufzugeben. Damals hielt sie mit ihrer Mutter Rücksprache und zog daraus die Kraft und Motivation, sich der neuen Verantwortung erfolgreich zu stellen. Sie war bereit, hart an sich zu arbeiten.

Imani mit kind
2017 heiratete Imani und wurde eine liebevolle Mutter von zwei Kindern, die heute zwei und vier Jahre alt sind.

„Mädchen stark machen“ bedeutet für mich – als Gründer von zwei Organisationen in Deutschland und Tansania, und somit als Arbeitgeber – auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen. Deshalb, und weil wir Imani sehr schätzen, boten wir ihr eine neue Rolle an, die sie bei ihrem Mann und ihren Kindern von Daressalam aus erfüllen konnte: Generalsekretärin und Repräsentanz in Daressalam. (In Deutschland wäre das so, als ob sie das Hauptstadt Büro leiten würde).

Ende letzten Jahres baten wir sie, für drei Monate (in einer Doppelspitze), die Co-Geschäftsführung in Tansania zu übernehmen, und sie sagte „Ja!“

Und so fragten wir sie dann, ob sie bereit wäre, die Führung der Organisation in Tansania als Geschäftsführerin zu übernehmen. Voraussetzung war allerdings, dass Imani mindestens 50 % ihrer Zeit vor Ort bei dem Team in Bukoba verbringen würde. Wie sie das schaffte, überließen wir ihr, unterstützen sie aber finanziell und mit dem nötigen Gestaltungsspielraum dabei. Imani nahm auch diese große Verantwortung an, und setzte sogar von sich aus 75 % ihrer Zeit vor Ort in Bukoba ein.
Imani am rednerpult
Im Juni dieses Jahres führten Imani und ich, gemeinsam mit unseren Stellvertretungen, einen Führungskräfteworkshop in Daressalam durch. Als “Icebreaker” sollten wir beide uns jeweils etwas erzählen, was der andere noch nicht von einem wusste: „Als ich Studentin war, wurden an unserer Uni neue Studentensprecher gewählt. Meine Freundinnen und Freunde ermunterten mich, mich auch zur Wahl aufstellen zu lassen, und sagten mir auch, dass ich große Chancen hätte. Aber ich traute mich nicht. Später bereute ich das. Ich versprach mir, zukünftig mutiger zu sein. Bei den nächsten Wahlen für die Studentensprecher, „warf ich meinen Hut in den Ring“ und wurde gewählt! Das war eine wertvolle Lektion für mich!“
Vor drei Wochen feierten wir unsere große Jambo Bukoba Benefizgala mit 200 Gästen in München, zu der wir auch Imani mit einer Delegation von vier Leuten aus Tansania eingeladen hatten. Jeder, der sie an diesem Abend kennen lernen durfte und ihr lauschte, als sie auf der Bühne ihre eigene Geschichte erzählte, war beeindruckt und hingerissen. Die wenigen freien Stunden die das tansanische Team in München hatte, wurden für private Einladungen und ein bisschen Sightseeing genutzt. Außerdem richteten langjährige Weggefährten unter unseren Ehrenamtlichen, Mitgliedern und Unterstützern eine Überraschungsgeburtstagsfeier für Sie aus.
Nach ihrer Rückkehr aus Deutschland verbrachte Imani noch 14 Tage in Daressalam und flog am Sonntag zu ihrem Team nach Bukoba. Am frühen Sonntagmorgen erreichte uns die Meldung eines Flugzeugunglücks, mit Toten und Verletzten, in Bukoba. Bis zum Nachmittag hoffen wir darauf, dass Imani unter den Überlebenden ist. Dann schrieben uns Mitarbeiter über WhatsApp, dass sie gesehen haben, wie Imani tot aus dem Flugzeug geborgen wurde.
Imani unter freunden
Mit Imani wurde eine Ehefrau, zweifache Mutter, Geschäftsführerin, Arbeitskolleg*in, Freundin und Rollenvorbild für viele Mädchen in Tansania mit einem Schlag aus dem Leben gerissen. Während ich das schreibe, und Imani’s Bilder und Videos auf meinem Handy betrachte, kann ich meine Tränen und meine Trauer nicht zurückhalten. Wie geht es da erst ihrem Mann, ihren Kindern, Eltern, Freunden und Bekannten? Was wird ihr Mann später mal ihren Kindern sagen, wenn sie fragen „Warum ist Mama bei einem Flugzeugabsturz in Bukoba gestorben?“

Wir können Imani nicht in dieses Leben zurückholen. Aber wir können etwas dafür tun, das ihr Wirken in unserem Leben, in dem Leben ihre Kinder, und in dem Leben von jungen Frauen und Männern in Tansania und darüber hinaus einen strahlenden Platz bekommt, aus dem wir Kraft, Hoffnung und Mut schöpfen können.

Auf unserer Gala in München sagte Professor Dr Radermacher, dass die Arbeit unserer kleinen Organisationen Jambo Bukoba e.V. und Jambo For Development auch deshalb so wichtig sei, weil wir damit vor Ort Talente und Persönlichkeiten fördern, die die Geschicke in ihrem Land selbst in die Hand nehmen können.

Das Leben, der Mut, und der Tod von Imani sind für mich Ansporn,
heute erst recht nicht aufzugeben, Kindern und Jugendlichen in Tansania
bessere Lebensperspektiven zu verschaffen.

Hilfs- und Bildungsfonds für Imanis Kinder

imani und tocher

Bei Imanis Kinder fangen wir an, in dem wir mit einem Bildungs- und Hilfsfonds ihre Zukunft (wenigstens materiell) absichern.

Imani Paul Girls Fund

Die über 300.000 Mädchen in Primary Schools, die Imani mit JFD in unserer Projekt Region Kagera betreut hat, unterstützen wir mit einem jährlichen Spendenaufruf für Binden. Viele Mädchen in unserer Region können sich aufgrund von Armut keine Binden leisten. Während ihrer Menstruation bleiben sie deshalb häufig der Schule fern. Für jeden Euro werden wir vier Binden besorgen und sie auch an die entlegensten Schulen bringen, damit jedes Mädchen in Kagera, auch während ihrer Periode, einen Schultag wahrnehmen kann. Diese Initiative werden wir jährlich wiederholen und zu ihrem Gedenktag, die Binden an Mädchen geben und die Arbeit von Imani lebendig halten.

Der Name „Imani“ kommt aus dem arabischen und bedeutet ursprünglich „Vertrauen“. Vertrauen in Mitmenschen und Vertrauen in unsere Selbstwirksamkeit sind der Kern unserer Arbeit für Kinder und Jugendliche in Tansania. Sie helfen uns tagtäglich dabei, die größten Hindernisse, Hürden und Rückschläge zu überwinden.

Imani hatte dieses Vertrauen und schenkte mir Ihr Vertrauen.

Imani machte den Unterschied. Und die Gedanken an sie, können auch uns zukünftig dabei helfen, den Unterschied zu machen. Jetzt liegt es in unserer Hand Worten Taten folgen zu lassen.

Imani Nachruf 2