Die Stimme von Petrida Clavery (48) ist leise. Sehr leise. Man muss schon ganz genau hinhören, um ihre Worte zu vernehmen. Doch sie sagt nicht viel an diesem Nachmittag. Auch drei Wochen nach der Katastrophe fehlen ihr noch die Worte. Dabei könnte sie so viel erzählen. Über den Tag des Bebens, das vollständig demolierte Haus, ihre Notsituation. Es scheint in diesem Moment aber eher so als sei ihr nach Schreien, Weinen oder einfach nur Verstummen.
In einem roten Kanga steht sie inmitten der Trümmer und versucht einigermaßen Haltung zu bewahren. Sie schlägt sich tapfer. Tranceartig bewegt sie sich durch das Haus, in dem sie, ihr Mann und die zwei Kinder drei Jahre gelebt hatten. Sie zeigt auf eingestürzte Wände, meterlange Risse im Mauerwerk, doch richtig hinschauen mag sie nicht.
„Es ist ein Alptraum“, sagt sie und das kann man verstehen. Fünf Jahre hatten sie und ihr Mann, der so wie sie Lehrer ist, an dem Haus gebaut. Es war ein schönes Eigenheim im Stadtteil Mchambiya im Norden Bukobas – bis zum 10. September. An jenem Samstag bebte die Erde gegen 15 Uhr im Nordwesten Tansanias mehrmals hintereinander. Das Epizentrum lagin Bukoba, jener tansanischen Kleinstadt am Westufer des Victoria-Sees, die schon immer von der Zentralregierung am anderen Ende des Landes ein wenig vernachlässigt wurde.

Auswirkungen der Katastrophe
Wie in der Volksschule Zamzam, die mit 700 Schülern zu den größten in Bukoba mit seinen 120 000 Einwohnern zählt. Von 14 Klassenräumen können nur noch vier benutzt werden, die restlichen zehn sind in sich zusammengefallen.
Direktor Jacob Kaijaga (49) ist verzweifelt. „Wir brauchen Geld, um die Schule wiederaufzubauen, aber alles hängt von der Regierung ab.“ Doch von der hat er bislang nichts gehört. „Es ist schrecklich, ich weiß nicht, wie lange diese Situation andauern wird. Keiner sagt mir was, keiner weiß, wie es weitergeht.“ Sein direkter Vorgesetzter heißt Superatus Chuma (45).
Er ist „Education Officer“ in der Stadtverwaltung von Bukoba. Auch er ist ratlos. „Wir warten.“ Worauf? „Auf das Geld der Regierung“, sagt er und wirkt dabei so hoffnungslos wie sein Schuldirektor.
Von den 25 Schulen, die er verwaltet, sind alle vom Beben betroffen, zwei müssen ganz neu gebaut werden, vier weitere sind teilweise eingestürzt, bei den anderen 19 stehen erhebliche Reparaturarbeiten an. Wann mit denen begonnen wird kann Chuma nicht sagen. „Keine Ahnung. Wir warten auf ein Konzept und Geld.“

Die Schulkinder tragen es mit Fassung. Sie absolvieren den Unterricht in Zamzam in Schichten. Doch das ist in diesen Zeiten beinahe nebensächlich geworden. Suleimani (11) erzählt, dass er seit der Katastrophe drei Wochen unter Planen im Freien schläft. So wie ihm geht es vielen seiner Schulkameraden.
Keine Erfahrungen mit Erdbeben
Petrida Clavery hat noch Glück gehabt. Sie ist in einem Lagerraum von Freunden untergekommen. „Von der Regierung haben wir bislang eine Decke und zwei Planen bekommen, mehr nicht“ erzählt sie. Tansania hat keinerlei Erfahrungen mit Erdbeben und schon gar nicht mit Katastrophenschutz. Zwar erreichten das Land schon zahlreiche Sach- und Geldspenden aus den Nachbarländern – auch die Spendenfreudigkeit der Menschen in Daressalam oder Mwanza ist groß -, aber die Umverteilung stellt den Verwaltungsapparat vor größte Herausforderungen. Gerade eben wurden zwei Beamte der Stadtverwaltung sowie ein Bankdirektor verurteilt, weil sie versucht hatten, Spendengelder abzuzweigen. Die Regierung unter Präsident John Magufuli gibt sich Mühe, Optimismus auszustrahlen, doch die Menschen vor Ort fühlen sich im Stich gelassen.
Auch Clavery. Ihr Haus muss höchstwahrscheinlich abgerissen werden, doch selbst das kostet Geld. Und parallel muss sie zusammen mit ihrem Mann den Kredit für das 35 000 Euro teure Haus weiter bedienen. Wie soll das gehen bei einem gemeinsamen Monatsverdienst von etwa 600 Euro? Die Familie braucht Hilfe. Aber dass die kommt, daran glaubt Clavery nicht. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir irgendwann Geld kriegen“, so die 48-Jährige und zuckt mit den Schultern. Auch das sagt sie leise, ohne Wut. Sie ist desillusioniert, wirkt hoffnungslos.
So wie viele Menschen derzeit in Bukoba.